Außenhandel unter Hochspannung

Was der Umbruch für den Mittelstand bedeutet und wie die Commerzbank ihre Kunden hierbei begleitet

Michael Kotzbauer, Firmenkundenvorstand der Commerzbank

Nach der Corona-Pandemie sieht sich der deutsche Mittelstand aktuell mit neuen Herausforderungen im Außenhandel konfrontiert: unterbrochene Lieferketten, neue Handelskorridore, beschleunigte Energiewende sowie die Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wie gut sind die Unternehmen darauf vorbereitet – und wie können Banken sie dabei begleiten? Michael Kotzbauer, Firmenkundenvorstand der Commerzbank, erläutert im Insights-Interview, wie die Commerzbank darauf reagiert und wie sie den Mittelstand mit neuen Lösungen unterstützt.

Herr Kotzbauer, im vergangenen Jahr haben Sie im Rahmen der „Strategie 2024“ mit dem Umbau der Commerzbank begonnen. Welche Ziele verfolgen Sie dabei – gerade auch mit Blick auf das Thema Außenhandel?

Michael Kotzbauer: Wir sind einer der führenden Finanzierer des deutschen Außenhandels – die Begleitung unserer Kunden in die Welt ist Bestandteil unserer DNA. Und die erste Wahl für das Auslandsgeschäft des deutschen Mittelstands wollen wir auch in Zukunft sein. Angesichts der diversen Krisen in den vergangenen Jahren – Brexit, Handelskonflikte oder Corona – war uns schon vor dem Krieg in der Ukraine klar, dass ein „Weiter so“ dazu nicht ausreicht.

Deshalb analysieren wir, wie sich der Bedarf unserer Firmenkunden durch die diversen Umbrüche im Außenhandel verändert. Wir bleiben weiterhin stark vertreten in Europa, Asien und den USA und decken damit alle wesentlichen Handelskorridore der Welt ab. Das bedeutet: Wir sind dort, wo Firmenkunden uns brauchen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: wir unterstützen unsere Kunden bei der Verlagerung ihrer Lieferketten, z. B. nach Nordafrika, oder der Finanzierung neuer Infrastrukturprojekte in Asien, Subsahara-Afrika oder dem Mittleren Osten sowie neu aufkommenden Geschäftsmöglichkeiten in Ostasien.

Wir beobachten aber auch sehr genau weitere regionale Verschiebungen, etwa bei den Landverbindungen zwischen Westeuropa und China, die auf die Ukraine, Belarus oder Russland als Transitland angewiesen sind. Mit der außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Neuorientierung Westeuropas als Folge des Ukraine-Konflikts könnten neue Handelsrouten stärker in den Blick kommen, die bislang noch wenig in internationale Lieferketten und Transportkorridore eingebunden waren.

Wo sehen Sie aktuell den dringendsten Handlungsbedarf für Unternehmen? Und wie sieht Ihr Beitrag als Bank aus?

Die Betroffenheit ist je nach Unternehmen und Geschäftsmodell sehr unterschiedlich. Wer aber grenzüberschreitend aktiv ist, wird kaum an den folgenden drei Punkten vorbeikommen:

Handelskorridore verschieben sich bereits seit einigen Jahren. Diesen bisher eher schleichenden Prozess hat der Russland-Ukraine-Konflikt verschärft. Der vermeintlich unaufhaltsame Siegeszug der Globalisierung erhält einen herben Dämpfer, die Tendenz geht wieder in Richtung Regionalisierung. Viele Gespräche mit unseren Kunden drehen sich zurzeit darum, alternative Märkte und Wege zu ihrer Erschließung zu finden.

Unser Beitrag: Regionale Verankerung und weltweite Vernetzung ermöglichen unseren Kunden die Bearbeitung von Auslandsmärkten.

Lieferketten erweisen sich mehr und mehr als störanfällig. Zusammen mit einer mangelnden Verfügbarkeit von Rohstoffen wirkt sich das sofort auf die Produktionsabläufe aus. Bekanntestes Beispiel sind wohl die Kabelbäume für die deutsche Automobilindustrie, die zum großen Teil in der Ukraine gefertigt wurden – ein kleines Bauteil, das ganze Produktionsstraßen stilllegt. Deshalb muss die Beschaffungssicherheit zukünftig stärker im Fokus unserer Kunden stehen. Ein Schlüssel dazu liegt in der Diversifizierung von Lieferketten: Man beschafft nicht mehr alles aus einer Hand und aus einer Region, damit es bei Störungen nicht zu einem Totalausfall kommt. Wir sehen das aktuell etwa bei Computerteilen, die nicht mehr nur aus einem asiatischen Land kommen.

Unser Beitrag: kompetente Beratung zur Diversifizierung der Lieferbeziehungen, Nearshoring und Insourcing sowie intelligente Betriebsmittelfinanzierungen für eine strategische Lagerhaltung.

Im Zuge der beschleunigten Energiewende und der aktuellen Entwicklung der Energiepreise wird der globale Ausbau von Erneuerbaren Energien schneller erfolgen als bisher gedacht. Diese beschleunigte Energiewende kann nicht nur auf bereits erprobten Technologien basieren. So dürfte z. B. auch „grüner Wasserstoff“ eine wichtige Rolle bei der Erreichung der angestrebten Energiesicherheit spielen.

Unser Beitrag: Unterstützung als bedeutender Finanzierer Erneuerbarer Energien mit eigenem Kompetenzcenter sowie Vernetzung mit Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, um Innovationen so früh wie möglich nutzen zu können.

Am meisten dürfte Ihre Kunden die Anfälligkeit der Lieferketten umtreiben?

In der Tat: Umfragen und unsere eigenen Beobachtungen zeigen, dass sich gut die Hälfte aller Unternehmen mit Störungen der Lieferketten sowie mangelnder Verfügbarkeit von Rohstoffen konfrontiert sieht. Auf jeden Fall braucht es ein verstärktes Risikobewusstsein hinsichtlich der Lieferketten. Bisher war das wichtigste Kriterium bei ihrer Auswahl die Maximierung der Working-Capital-Effizienz – das wird sich ändern hin zur Beschaffungssicherheit: Lieferantenloyalität gewinnt ganz klar an Bedeutung. Einen ähnlichen Paradigmenwechsel sollte es bei den Produktionsprozessen geben: Just in time ist kein Dogma mehr, was nicht zwangsläufig zu einer strategischen Lagerhaltung führen muss. Kunststoff-Kleinteile beispielsweise, die im Produktionsprozess gebraucht werden, können über einen 3-D-Druck selbst im oder am Werk produziert werden. Zusammen mit entsprechenden Payment-Lösungen wird uns dieses Zukunftsthema noch stärker beschäftigen.

Wie sieht es denn mit Innovationen in Ihrem Kerngeschäft aus? Wann erreicht die Digitalisierung endlich den Außenhandel?

Auch hier kommen wir kontinuierlich voran. Die Commerzbank bietet ihren Kunden Möglichkeiten der digitalen Kommunikation mithilfe von FrontEnd-Lösungen und innovativen Blockchain-Netzwerken u.a. zur digitalen Akkreditivabwicklung. Neueste Technologien wie Blockchain, KI, OCR und APIs kommen zum Einsatz, um manuelle und kostenintensive Prozesse zu optimieren, aber auch neue Produktlösungen zu entwickeln.

In Kooperationen mit dem Fraunhofer Institut und T-Systems arbeiten wir aktuell an Lösungen für voll automatisierte Lieferketten mit integrierten Finanzdienstleistungen, die unter anderem auf Distributed Ledger Technology (DLT) basieren.

Aufgrund unserer Mitarbeit in internationalen Institutionen, wie der Internationalen Handelskammer (ICC), sind wir mit dem Ohr am Markt und haben zudem die Möglichkeit, die Digitalisierung gemeinsam mit unseren Kunden, Bankpartnern und weiteren Beteiligten des Außenhandels aktiv mitzugestalten. Sie sehen: Es tut sich was, und wir sind vorn mit dabei.

Bisher haben wir nur über Herausforderungen gesprochen. Eröffnen die Umbrüche im Außenhandel aber nicht auch Chancen?

Doch, natürlich, und das erkennen noch viel zu wenige Unternehmen. Die Erschließung neuer Beschaffungsquellen wird zu einer signifikanten Veränderung der weltweiten Warenströme führen. Hinzu kommt in ausgewählten Ländern ein hoher Investitionsbedarf für den Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten sowie Infrastruktur, welcher für unsere Kunden ein erhebliches Geschäftspotenzial darstellt. Dazu braucht es aber auch einen angepassten Risikoappetit in bestimmten Risikoländern. Dies werden wir jeweils im Sinne unserer Kunden prüfen. Auch staatliche Exportgarantien könnten hier eine wichtige Rolle spielen.

Der Außenhandel bleibt für die Commerzbank also weiterhin im Fokus?

Klares Ja. Wir sind die Bank für den Mittelstand, für den das Auslandsgeschäft unverzichtbar ist. Gerade in diesen unruhigen Zeiten brauchen die Unternehmen einen verlässlichen Partner, der die Kompetenz, Erfahrung und Stärke für einen erfolgreichen Außenhandel mitbringt. Dafür sind wir die erste Wahl – seit über 150 Jahren.